Erste Tätigkeitsstätte: Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten sind Tätigkeiten i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG

BFH, Urteil vom 26.10.2022, VI R 48/20

Sind Feuerwehrleute einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet, führt bereits die Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten zu einer Tätigkeit i.S. des § 9 Abs. 4 EStG.
 

Hintergrund

Stellen Aufwendungen des Arbeitnehmers solche für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG dar, ist zu deren Abgeltung grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von (im Streitjahr) EUR 0,30 anzusetzen. Liegt keine erste Tätigkeitsstätte vor, können die Fahrtkosten mit dem PKW zum Einsatzort in Höhe von EUR 0,30 je gefahrenen Kilometer (und damit grundsätzlich höhere Werbungskosten, da Hin- und Rückfahrt berücksichtigt werden können) geltend gemacht werden.

Nach § 9 Abs. 4 EStG ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegungen sowie die diese ausfüllende Absprachen und Weisungen bestimmt. Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt hingegen eine solche dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung (oder ist sie nicht eindeutig), ist erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung,

  • an der der Arbeitnehmer dauerhaft entweder typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder
  • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll.

Das Urteil des BFH bezieht sich auf den zuletzt genannten Fall und greift die Frage auf, welche Anforderungen an eine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG bei einem Feuerwehrmann zu stellen sind, der arbeitsvertraglich auf mehreren Wachen eingesetzt werden kann, tatsächlich aber nur auf einer Wache tätig ist.

Sachverhalt

Der Kläger ist als Feuerwehrmann angestellt. Im Streitjahr (2016) war er an 112 Tagen in der Feuerwache B eingesetzt. Die Fahrtkosten machte er nach Reisekostengrundsätzen geltend. Das Finanzamt setzte hingegen nur die Entfernungspauschale an. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies es als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab dagegen (mit der Begründung, der Kläger habe wegen der arbeitsvertraglichen Verpflichtung, seinen Dienst an verschiedenen Einsatzstellen zu leisten, keine erste Tätigkeitsstätte) der Klage statt, FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 28.11.2019, 6 K 1475/18.

BFH widerspricht dem FG

Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen laut BFH nicht dessen Schlussfolgerung, dass der Kläger der Feuerwache B nicht dauerhaft zugeordnet worden ist.

Das FG hat eine (dauerhafte) Zuordnung des Klägers zur Feuerwache B allein mit der Begründung verneint, der Kläger sei nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet, nach entsprechender Einzelanweisung seinen Dienst an vier verschiedenen Einsatzstellen zu leisten (Ziffer 6 des Arbeitsvertrags). Darin wird als Beschäftigungsdienststelle/-ort allgemein auf die verschiedenen Standorte hingewiesen, an denen der Kläger eingesetzt werden kann.

Ob der Arbeitgeber den Kläger einer dieser betrieblichen Einrichtungen tatsächlich zugeordnet hat, lässt sich laut BFH dieser Bestimmung nicht entnehmen. Denn allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer auf Weisung seines Arbeitgebers in unterschiedlichen betrieblichen Einrichtungen tätig werden soll, steht seiner Zuordnung zu einer dieser betrieblichen Einrichtungen durch den Arbeitgeber nicht entgegen.

Dienstpläne haben nur Indizcharakter

Die vorgelegten Dienstpläne stellen nach Auffassung des Senats jedenfalls lediglich ein Indiz für eine dauerhafte Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers dar. Auch kann im Urteilsfall nicht ohne Weiteres auf die Rechtsprechung des Senats, dass es regelmäßig der Lebenswirklichkeit entspricht, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll, zurückgegriffen werden. Vorliegend sind weitere Feststellungen erforderlich. Denn der Kläger hat substantiiert vorgetragen, dass es an einer entsprechenden (jedenfalls dauerhaften) Zuordnung fehle und er ohne konkrete Festlegung von vornherein an sämtlichen Standorten eingesetzt werden sollte.

Erforderlicher Umfang der Tätigkeit

Gelangt das FG im zweiten Rechtsgang zu dem Ergebnis, dass doch eine solche dauerhafte Zuordnung vorlag, ist zu klären, ob der Kläger dort in dem erforderlichen Umfang tätig geworden ist. Nach Auffassung des Senats sind bei einem Angehörigen der Betriebs-/Werksfeuerwehr dabei auch die Arbeitsbereitschafts- und die Bereitschaftsruhezeiten als Tätigkeiten im Sinne des § 9 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen.

Fazit

Bereitschaftsdienst haben nicht nur Feuerwehrleute oder Ärzte, sondern auch Mitarbeiter in IT-Abteilungen oder bei einem Energieversorger beschäftigtes Personal. Sind mehrere Einsatzorte gegeben, sollte geprüft werden, ob die in diesem Urteil erläuterten Grundsätze zum Tragen kommen.

Sofern Arbeitsbereitschafts- oder Bereitschaftsruhezeiten vorliegen, sind diese Zeiten bei der Prüfung, ob die Tätigkeit je Arbeitswoche dauerhaft typischerweise arbeitstäglich bzw. mindestens zwei Arbeitstage oder ein Drittel der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit an einem bestimmten Ort ausgeübt werden soll, als Arbeitszeit zu berücksichtigen.

Autor:innen: StB Annika Wölky, StB Thore Schmitz