A smiling young woman with headphones and folders, standing outdoors on a college campus.

Sozialversicherungspflicht für Lehrer: Herausforderung für Bildungseinrichtungen

Bildungseinrichtungen unter Druck: Das Bundessozialgericht hat mit seinem Urteil zur sozialversicherungsrechtlichen Einstufung von Lehrkräften eine Welle der Unsicherheit ausgelöst. Zudem könnten die zusätzlichen Kosten für viele existenzbedrohend werden. Deshalb hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung geschaffen. Sie verschafft den Bildungseinrichtungen mehr Zeit, erspart ihnen jedoch nicht die Anpassung an die neuen Gegebenheiten.

Abhängige Beschäftigung: neue Maßstäbe bei der Beurteilung

Bereits am 28.06.2022 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass eine an einer städtischen Musikschule tätige Musiklehrerin abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt war (Herrenberg-Urteil, B 12 R 3/20 R). Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung haben dieses Urteil zum Anlass genommen, die versicherungsrechtliche Beurteilung von Lehrkräften zu überdenken. Sie haben entschieden, dass die neuen Maßstäbe für die Beurteilung des Erwerbsstatus von Lehrkräften spätestens ab 01.07.2023 anzuwenden sind, auch auf laufende Bestandsfälle.

Belastung für Bildungseinrichtungen

Diese neue Sichtweise bedeutet allerdings eine erhebliche Belastung für die Bildungseinrichtungen. Die Sozialversicherungsträger haben teilweise so hohe Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert, dass manche Einrichtungen in ihrer Existenz gefährdet sind. Hinzu kommt die Rechtsunsicherheit bei der Formulierung von Verträgen mit selbständigen Lehrkräften.

Der Gesetzgeber hat daher eine Übergangsregelung verabschiedet, um zu gewährleisten, dass weiterhin ein umfassendes Bildungsangebot zur Verfügung steht. Zudem erhalten die Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte so ausreichend Zeit, sich neu zu organisieren und passende Geschäftsmodelle zu entwickeln. 

Auch unter den veränderten Rahmenbedingungen sollen Lehrkräfte ihre Tätigkeit sowohl in abhängiger Beschäftigung als auch selbständig ausüben können.

Übergangsregelung

Der neue § 127 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) bestimmt, dass die Versicherungspflicht der betroffenen Lehrkräfte erst ab dem 01.01.2027 eintritt. Dies setzt voraus, dass die Vertragsparteien bei Vertragsschluss übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass es sich um eine selbständige Lehrtätigkeit handelt. Außerdem muss die betreffende Lehrkraft gegenüber dem Versicherungsträger zustimmen, dass bis Ende 2026 keine Versicherungspflicht aufgrund dieser Beschäftigung vorliegt. Die Zustimmung zu einem späteren Eintritt der Versicherungs- und Beitragspflicht aufgrund von Beschäftigung muss in den Entgeltunterlagen nachvollziehbar sein.

Die Regelung greift auch dann, wenn der Versicherungsträger in einem Verfahren 

  • der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a SGB IV,

  • der Träger der Rentenversicherung im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV oder 

  • der Krankenkassen als Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nach § 28h Abs. 2 SGB IV  

feststellt, dass eine Lehrtätigkeit in abhängiger Beschäftigung vorliegt.

Für welche Tätigkeiten gilt die Übergangsregelung?

Die Regelung gilt sowohl für privatrechtliche Verträge als auch für öffentlich-rechtliche Auftragsverhältnisse. Eine Lehrtätigkeit ist die Tätigkeit von Lehrerinnen und Lehrern im Sinne von § 2 SGB VI. Sie umfasst die Übermittlung von Wissen und die Unterweisung in praktischen Tätigkeiten.

Folgen für die Rentenversicherung

Die betroffenen Lehrkräfte gelten in der gesetzlichen Rentenversicherung ggf. grundsätzlich ab Inkrafttreten der Regelung zeitlich befristet als selbständige Lehrkräfte. Lehrkräfte, die mit einer selbständigen Tätigkeit unter das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) fielen (etwa Musiklehrer), sind nach dem KSVG renten-, kranken- und pflegeversicherungspflichtig, bis aufgrund der festgestellten Beschäftigung Sozialversicherungspflicht eintritt.

Rechtssicherheit für Altfälle

Außerdem stellt das neue Gesetz sicher, dass sich die sozialversicherungsrechtliche Situation für die folgenden Personengruppen bis zum 31.12.2026 nicht verändert bzw. verschlechtert:

  • Lehrkräfte, die in der Vergangenheit Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung nach den Vorschriften für selbständige Lehrer gezahlt haben, weil sie davon ausgingen, dass sie eine selbständige Tätigkeit ausüben

  • Lehrkräfte, die nach dem KSVG versichert sind 

  • Lehrkräfte, die von einer Selbständigkeit ausgegangen sind und erfolgreich die Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung beantragt haben

Hinweise zur Umsatzsteuer

Ob die Übergangsregelung für die Sozialversicherung auch auf die Umsatzsteuer Anwendung findet, ist noch nicht abschließend geklärt. Wir empfehlen eine entsprechende Abstimmung mit dem zuständigen Finanzamt. Sofern die Lehrkraft nunmehr nicht mehr als selbständig gilt, übt sie in der Regel auch keine unternehmerische Tätigkeit mehr aus. Entsprechend darf sie keine Rechnungen mit Ausweis von Umsatzsteuer ausstellen. Wer dennoch Rechnungen mit Umsatzsteuer ausstellt, schuldet gemäß § 14c Abs. 2 UStG die ausgewiesene Umsatzsteuer (unberechtigter Steuerausweis) und muss sie an das Finanzamt abführen.

Sollte die Lehrkraft jedoch auch zukünftig als selbständig und somit als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gelten, ist zu prüfen, ob die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchstabe b oder c UStG Anwendung findet.

Handlungsbedarf

Betroffene Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte, die von der Übergangsregelung Gebrauch machen wollen, sollten zunächst sicherstellen, dass eine entsprechende Erklärung der Lehrkraft, dass sie dem Auftraggeber die Zustimmung zur Anwendung der Übergangsregelung erteilt, in den Vertragsunterlagen abgelegt wird. Außerdem empfiehlt es sich, die Zeit bis zum 01.01.2027 zu nutzen, um rechtssichere Vertragsmodelle zu erarbeiten. Einrichtungen, die ihre Leistungen gegen Entgelt anbieten, sollten auch prüfen, inwieweit Preisanpassungen oder eine Änderung des Geschäftsmodells notwendig werden. Schließlich sollten Betroffene eventuelle umsatzsteuerliche Konsequenzen beachten.

Ihre Kontaktpersonen für diesen Artikel: Nancy Adam, Thorsten Koch, Alexander Bruns