Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat den Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vorgelegt (8. SGB IV-ÄndG). Der Gesetzgeber sieht umfangreichen Änderungsbedarf im Sozialversicherungsrecht, wie der mehr als 154 Seiten lange neue Gesetzentwurf zeigt. Zahlreiche Verfahren in der Sozialversicherung sollen effektiver ausgestaltet, digitalisiert und weniger bürokratisch werden. Zudem sind technische Vorgaben an die durch den technischen Fortschritt geänderten Standards anzupassen. Hier ein Überblick über die für Arbeitgeber besonders relevanten Vorhaben:
Abgeltung von Wertkonten
In der Praxis stellt sich bei der Abgeltung von Entgeltguthaben die Frage der beitragsrechtlichen Behandlung und der zeitlichen Zuordnung der Auszahlung von Arbeitszeitguthaben. Die Abgeltung von Guthaben aus Wertkonten soll ab dem 01.01.2023 auch dann dem letzten Abrechnungsmonat zuzurechnen sein, wenn sie nicht mehr im gleichen Kalenderjahr ausgezahlt werden (§ 23d SGB IV). Mit der Zuordnung zum letzten Abrechnungszeitraum wird mit dem geplanten Gesetz eine eindeutige Regelung geschaffen. Liegen die Zeiträume länger zurück, als die Entgeltabrechnungsprogramme das zulassen, ist analog den Rückrechnungen in der Betriebsprüfung zu verfahren.
Automatisierte Beantragung und Ausstellung von Entsendebescheinigungen
Das etablierte Verfahren zur Übermittlung von Anträgen und Bescheinigungen für Entsendungen innerhalb der EU soll auf Entsendungen in die Staaten ausgeweitet werden, mit denen die Bundesrepublik Deutschland Abkommen über die soziale Sicherheit abgeschlossen hat (§ 106c SGB IV).
Die Neuregelung ermöglicht es, auch für den Fall der Erwerbstätigkeit in einem Staat, mit dem Deutschland ein Abkommen über soziale Sicherheit geschlossen hat, eine Bescheinigung über die Fortgeltung der deutschen Rechtsvorschriften auszustellen. Dies setzt voraus, dass das Abkommen die Fortgeltung des deutschen Rechts vorsieht. Der Arbeitgeber ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Im Fall der Selbständigkeit (Abs. 3) ist nur der Selbständige antragsberechtigt.
Betroffen sind insgesamt rund 10.000 Fälle, von denen jeweils die Hälfte die gesetzliche Krankenversicherung bzw. die Rentenversicherung berühren. Die Änderungen sollen zum 01.01.2023 in Kraft treten.
Vorgezogene Altersrenten – Hinzuverdienstgrenze fällt weg
Die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten wird zum 01.01.2023 aufgehoben (§ 34 Abs. 2 SGB VI). Mit dem Bezug einer Altersrente kann nunmehr – wie bereits heute schon ab Erreichen der Regelaltersgrenze – hinzuverdient werden, ohne dass es zu einer Anrechnung auf die Rente kommt. Mit dieser Maßnahme möchte der Gesetzgeber dem bestehenden Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenwirken und Bürokratie abbauen.
Abschaffung des Hinzuverdienstdeckels bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Der Hinzuverdienstdeckel – eine zusätzliche Höchstgrenze beim Hinzuverdienst – steht im Widerspruch zu den stark erhöhten Hinzuverdienstgrenzen und könnte die beabsichtigte Anreizwirkung für ein Arbeiten im vorgezogenen Ruhestand abschwächen. Die Regelungen zum Hinzuverdienstdeckel bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (insbesondere § 34 Abs. 3a und § 96a Abs. 1b SGV VI) werden daher laut Entwurf zum 01.01.2023 aufgehoben.
Künstlersozialabgabe bei Aufträgen über 450 Euro
Die Regelung zur Abgabepflicht von Unternehmen, die selbständige Künstler und Publizisten beauftragen, um
- Eigenwerbung zu betreiben (Eigenwerber) oder um
- damit Einnahmen zu erzielen (Generalklauselunternehmer),
soll zum 01.01.2023 übersichtlicher und klarer gestaltet werden (§ 24 KSVG).
In diesem Zusammenhang werden die Bestimmungen zur Abgabepflicht und Abgabefreiheit auch in Reaktion auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 01.06.2022 (B 3 KS 1/21 R) überarbeitet.
Bei einer nur einmaligen Auftragserteilung tritt nach dem bisherigen Wortlaut des Gesetzes laut Bundessozialgericht keine Abgabepflicht ein, auch wenn die gesetzliche Bagatellgrenze von 450 Euro im Jahr überschritten wird. Durch Streichung des Rechtsbegriffs der „nicht nur gelegentlichen Auftragserteilung“ wird klargestellt, dass die Abgabepflicht entsprechend der geltenden Verwaltungspraxis grundsätzlich unabhängig von der Anzahl der Aufträge ab Erreichen der gesetzlich festgelegten Entgeltsumme besteht.
Von der Abgabepflicht gibt es weiterhin zwei Ausnahmen: Zum einen gilt für die betreffenden Unternehmen die Abgabepflicht nicht, wenn die erteilten Aufträge die Durchführung von Veranstaltungen betreffen und in einem Kalenderjahr höchstens drei Veranstaltungen durchgeführt werden. Zum anderen besteht weiterhin keine Abgabepflicht für Musikvereine, wenn sie regelmäßig eine Chorleitung oder einen Dirigenten bzw. eine Dirigentin engagieren.
Beitrags- und Melderecht
Beim Beitrags- und Melderecht sind im Zuge der Digitalisierung und Verwaltungsvereinfachung insbesondere folgende Neuerungen vorgesehen:
- Der Arbeitgeber ruft künftig die Versicherungsnummer der Beschäftigten automatisiert bei der Datenstelle der Rentenversicherung ab. Der Datenabruf ersetzt die bisher erforderliche Vorlage des Sozialversicherungsausweises. Zudem wird der Sozialversicherungsausweis durch den Versicherungsnummern-Nachweis ersetzt.
- Der Arbeitgeber teilt den Sozialversicherungsträgern Beginn und Ende der Elternzeit von Arbeitnehmern im Rahmen des allgemeinen elektronischen Meldeverfahrens mit. Das bisherige Meldeverfahren nach § 203 SGB V kann damit entfallen.
Anspruch auf rechtsverbindliche Auskunft
Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales im Jahr 2021 hat ergeben, dass die Möglichkeit, von den Einzugsstellen eine rechtsverbindliche Auskunft zu verlangen, einer Vielzahl von Arbeitgebern nicht bekannt ist. Darüber hinaus setzen die Krankenkassen diese nicht konsequent um. Mit der Gesetzesänderung soll klargestellt werden, dass auf Verlangen eines Arbeitgebers oder Beschäftigten eine rechtsverbindliche Auskunft zu erteilen ist (§ 28h SGB IV). Nach dem neuen Satz 2 im zweiten Absatz kann der Arbeitgeber künftig den Bescheid über die Entscheidung der Versicherungspflicht in Textform verlangen.