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Kindererziehungszeiten im Ausland


Wer sich darauf verlässt, dass die deutsche gesetzliche Rentenversicherung auch Kindererziehungszeiten im Ausland berücksichtigt, wird häufig enttäuscht. Selbst innerhalb der EU ist dies nämlich an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Für Auslandseinsätze können Ausnahmen gelten, doch sie greifen nicht in jedem Fall. Deshalb sollten auch die rentenversicherungsrechtlichen Folgen eines Auslandseinsatzes bereits im Vorfeld sorgfältig geprüft werden. Dies gilt auch für begleitende Ehe- bzw. Lebenspartner. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) musste sich erst kürzlich wieder mit der Frage der Anrechnung von im Ausland geleisteten Kindererziehungszeiten beschäftigen (Urteil vom 22.02.2024, C-283/21). 

Berufsausbildung in Deutschland

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat dem EuGH die Frage zur Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Kindererziehungszeiten zu dem folgenden Fall vorgelegt: Die Klägerin ist in Deutschland geboren und deutsche Staatsbürgerin. 1980 schloss sie in Deutschland ihre Berufsausbildung ab. Danach war sie in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen des Wohnortes in den Niederlanden konnte ihr die Verwaltung in Deutschland keine Stelle vermitteln und in den Niederlanden war es ihr wegen ihrer deutschen Ausbildung nicht möglich, als Erzieherin zu arbeiten. 

Kindererziehung in den Niederlanden und Erwerbstätigkeit in Deutschland

Anschließend erzog sie mit ihrem Ehemann ihre 1986 und 1989 geborenen Kinder am gemeinsamen Wohnsitz in Vaals (in den Niederlanden liegender Vorort von Aachen), wobei der weit überwiegende Teil der Erziehungstätigkeit auf die Klägerin entfiel. Von September 1993 bis August 1995 betrieb sie zusammen mit einer Partnerin eine Kinderboutique in Aachen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 24 Stunden. Für diese Tätigkeit entrichtete sie keine Beiträge zur deutschen Rentenversicherung. April 1999 bis Oktober 2012 ging sie in Deutschland einer geringfügigen (also nicht versicherungspflichtigen) Beschäftigung nach. Am 01.02.2010 zog sie von Vaals nach Aachen. Ab Oktober 2012 war die Klägerin in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. 

Deutsche Erwerbsminderungsrente

Seit März erhält die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund. Dabei berücksichtigte der Rentenversicherungsträger die Zeit vom 15.11.1986 bis zum 31.03.1999 nicht als Kindererziehungszeit bzw. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung, weil die Klägerin ihre Kinder in dieser Zeit in den Niederlanden erzogen und zu Beginn der Erziehung keine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hat.

Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Aachen ab. Die Klägerin habe an den Tagen der Geburt ihrer Kinder bzw. unmittelbar zuvor weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland bzw. nach deutschem Recht ausgeübt und keine Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt.

Rentenanspruch in den Niederlanden

Die Klägerin hatte in den Niederlanden einen Anspruch auf Altersrente erworben. Wenn die deutsche gesetzliche Rentenversicherung die Kindererziehungszeiten berücksichtigt, reduziert sich laut Auskunft des niederländischen Sozialversicherungsträgers die niederländische Rentenleistung um 10 Prozent.

Spezialfall Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in einem anderen Mitgliedstaat

Grundsätzlich hat derjenige Staat, der zur Rentenleistung verpflichtet ist, die Kindererziehungszeiten der betreffenden Person im anderen Mitgliedstaat zu berücksichtigen – vorausgesetzt es besteht eine hinreichende Verbindung zwischen diesen Zeiten und den Versicherungszeiten im zur Zahlung verpflichteten Staat.

Wann liegt eine hinreichende Verbindung vor?

Eine solche hinreichende Verbindung gilt laut EuGH als erwiesen, wenn sowohl vor als auch nach der Erziehungszeit in dem einen Mitgliedstaat ausschließlich im zur Leistung verpflichteten Mitgliedstaat Versicherungszeiten für Ausbildung oder Beschäftigung angefallen sind.

Mitgliedstaaten können in ihrem nationalen Recht festlegen, dass bestimmte Lebensabschnitte ohne Beitragszahlungen den Versicherungszeiten in diesem Staat gleichgestellt werden, führt das Gericht aus. In diesem Fall seien die betreffenden Lebensabschnitte für das Bestehen einer hinreichenden Verbindung zwischen den Versicherungszeiten in dem betreffenden Staat und den Erziehungszeiten im anderen Mitgliedstaat unschädlich.

Versicherungszeiten in Deutschland

Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hat die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor und nach den in den Niederlanden verbrachten Kindererziehungszeiten ausschließlich in Deutschland Versicherungszeiten zurückgelegt. Die Ausbildungszeiten vor der Geburt der Kinder und die nach dem Ende der Erziehungszeiten ausgeübte geringfügige Beschäftigung sind nach deutschem Recht Versicherungszeiten gleichgestellt. Ab Oktober bis März 2018 ist die Klägerin in Deutschland einer versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen und hat Beiträge zur gesetzlichen Pflichtversicherung gezahlt.

Hinreichende Verbindung liegt vor

Daraus schließt der EuGH, dass eine hinreichende Verbindung zwischen den Kindererziehungszeiten in den Niederlanden und den Versicherungszeiten in Deutschland besteht – allerdings vorbehaltlich der vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen durchzuführenden Überprüfung.

Handlungsempfehlung

Wer in Deutschland Versicherungszeiten (oder diesen gleichgestellte Zeiten) und Kindererziehungszeiten in einem anderen EU-Mitgliedstaat absolviert hat, sollte prüfen (lassen), ob Letztere bei der deutschen Rente zu berücksichtigen sind.

Die geschilderte Problematik kann auch bei Entsendungen, im Zusammenhang mit Remote Work oder bei Lokalisierungen in anderen Ländern auftreten. Arbeitgeber sollten ihrer Fürsorgepflicht nachkommen, indem sie potenziell betroffene Beschäftigte auf mögliche sozialversicherungsrechtliche Risiken für sie selbst bzw. ihre Lebenspartner und eventuellen Handlungsbedarf hinweisen. Aufgrund der Komplexität der Regelungen empfiehlt es sich, Zweifelsfragen mit dem zuständigen Rentenversicherungsträger zu klären.

Kontaktpersonen: Thorsten Koch und Nancy Adam