A photographic portrait of Axel Preiss

Interview mit Axel Preiss: Österreich als Epizentrum für Green-Techs?


Axel Preiss leitet neben der Serviceline Consulting auch den Advanced Manufacturing & Mobility Sektor bei EY für die Region Europe West. Was gute Beratung für ihn ausmacht und wo Österreichs Industrie im internationalen Vergleich steht, erklärt er im Interview.

EY Österreich: Was können österreichische Industrieunternehmen, was andere nicht können?

Axel Preiss: Wir Österreicher:innen haben oft das Gefühl, dass wir an unserer eigenen Bürokratie scheitern, dass alles viel zu langsam geht, andere immer schneller sind. Wenn ich aber mit Kolleg:innen aus anderen Ländern spreche, werden wir vor allem für zwei Dinge beneidet: Zum einen sind wir Meister darin, pragmatisch Entscheidungen zu treffen und trotzdem hochwertige Produktionsstandorte aufzubauen und stabil zu betreiben. Zum anderen sind österreichische Betriebe hoch resilient, können sich schnell und flexibel an neue Anforderungen anpassen. Das haben Österreichs Unternehmen auch während der bisherigen Coronapandemie bewiesen. Ich hoffe, dass Österreichs Betriebe nun auch in der vierten Welle die gleiche Resilienz an den Tag legen.

Wer glaubt, als Berater der strahlende Ritter auf dem weißen Pferd zu sein, liegt falsch.

EY Österreich: Welche Themen sollte jede:r Industrieentscheider:in aktuell am Schirm haben ?

 

Axel Preiss: Fangen wir mit dem Klassiker an – der Digitalisierung. Ein Viertel der österreichischen Mittelständer gab bei unserer letzten Befragung an, dass digitale Technologien noch keine oder nur eine geringe Rolle für ihr Unternehmen spielen – das sind zu viele. Speziell im Industriesektor wird man in den nächsten Jahren an den Themen Industrie 4.0 und Cloudlösungen nicht vorbeikommen. Das zweite Thema, das gerade jetzt in der Autobranche zum Flaschenhals wird, ist die Lieferkette: Diesen Oktober wurden in Europa fast 40 Prozent weniger Neuwagen angemeldet als im Oktober 2019 – und das, obwohl die Nachfrage vorhanden ist. Der Grund sind unterbrochene Lieferketten, wichtige Halbleiter fehlen und die Konzerne können nicht produzieren. Wichtig ist auch die langfristige Unternehmensplanung unter ständiger Bewertung der möglichen Risiken. Was passiert mit meiner Produktion während eines Cyberangriffs? Hält meine Produktionsanalage einem Tornado stand? Welchen Einfluss hat die Alterung der Gesellschaft auf mein Geschäftsmodell? Solche Fragen sind es, die sich Unternehmen laufend stellen müssen, um vorbereitet zu sein. Und natürlich Nachhaltigkeit. Der Megatrend wird in Österreich leider oft noch unterschätzt, aber die Gesetzgeber sind gerade sehr aktiv – auf österreichischer, europäischer und internationaler Ebene. CSRD, EU-Taxonomie, CO2-Fußabdruck, Kreislaufwirtschaft – damit muss sich die Industrie intensiv auseinandersetzen.

 

EY Österreich: Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind die beiden Megatrends unseres Zeitalters. Wo steht Österreich im internationalen Vergleich?

 

Axel Preiss: Was das Thema Digitalisierung betrifft, hat Österreich in den letzten Jahren gewaltige Sprünge gemacht. Aktuell sind wir im Digitalisierungsindex der EU-Kommission unter den Top 10, bisher bewegten wir uns im Mittelfeld. Das ist eine großartige Leistung, die es zu halten gilt. Im Bereich Nachhaltigkeit stehen wir wie alle am Anfang einer langen Transformation. Aber: Österreich hat sich klare Ziele gesetzt, um schon 2040 klimaneutral zu werden – zehn Jahre vor dem EU-Ziel. Erst im Frühjahr 2021 haben wir die Top-1.000-Unternehmen Österreichs zum Thema Nachhaltigkeit befragt. Drei von fünf haben nach Selbsteinschätzung Nachhaltigkeit vollumfänglich in ihre Strategie integriert, fast jedes dritte Unternehmen zumindest teilweise. Aus meiner Sicht können wir die aus diesen beiden Megatrends resultierenden Chancen und Potenziale für den Wirtschaftsstandort Österreich am besten nutzen, wenn wir sie zusammen betrachten. Wenn wir unsere Karten richtig spielen, die passenden Rahmenbedingungen schaffen und unsere Investitionsentscheidungen entsprechend ausrichten, kann Osterreich zum Epizentrum für Green-Techs in Europa werden. Als Berater ist es natürlich spannend, eine solche Chance für ein ganzes Land zu begleiten.

Wenn wir unsere Karten richtig spielen, die passenden Rahmenbedingungen schaffen und unsere Investitionen entsprechend ausrichten, kann Österreich zum Epizentrum für Green-Techs in Europa werden.

EY Österreich: Sind Sie deshalb Unternehmensberater geworden?

 

Axel Preiss: Der Onkel meiner damaligen Freundin hat mich am Ende meiner Studienzeit darauf aufmerksam gemacht, er war selbst Unternehmensberater und konnte immer spannende Geschichten erzählen. Das hat mich inspiriert und damals suchte man in der Beratung wie auch jetzt nach jungen Menschen, die dazulernen und etwas bewegen wollen. Mittlerweile weiß ich, dass Unternehmensberatung der perfekte Job für mich ist. In keinem anderen Beruf lernt man so viele verschiedene Unternehmen in einer solchen Tiefe kennen, kann sich in so einem Detailgrad mit Trends und Megatrends beschäftigen.

 

EY Österreich: Welchen Fehler kann man als Unternehmensberater:in machen?

 

Axel Preiss: Das Schlimmste, was man glauben kann, ist, dass man als Einzelperson der strahlende Ritter auf dem weißen Pferd ist. Auch wenn sich der Mythos der Ellbogenmentalität hartnackig halt, ist Erfolg einfach nur im Team möglich. Und mit Team meine ich sowohl die eigenen Kolleg:innen als auch alle Beteiligten auf Kundenseite.

 

Das Interview ist zuerst im Industriemagazin erschienen.

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