Wachstumschancengesetz büßt offenbar an Reformelan ein

Ein Veto aus dem Familienministerium hat die für den 16.08.2023 geplante Kabinettsbefassung über den Regierungsentwurf des Wachstumschancengesetzes (WtChancenG) kurzfristig gestoppt. Strittig ist die Höhe der vorgesehenen Steuerentlastungen im Verhältnis zu dem im Haushalt eingeplanten Umfang der Kindergrundsicherung. Da offenbar keine Kritik mehr an Einzelregelungen geübt wurde, gibt ein in dieser Woche bekannt gewordener Verhandlungsstand des Regierungsentwurfs wertvolle Einsichten, wie der finale Regierungsentwurf aussehen könnte.  

Mitte Juli überraschte das BMF steuerpolitische Beobachter mit einem unerwartet ambitionierten Referentenentwurf zur Unternehmensbesteuerung (vgl. EY-Steuernachricht vom 12.07.2023). Das WtChancenG setzte dabei insbesondere in den Bereichen Verlustverrechnung, Investitions- und Forschungsförderung und für Personengesellschaften Schwerpunkte, enthielt aber auch umfangreiche Gegenfinanzierungselemente insbesondere im Bereich des Zinsabzugs.

Mit einem im Vorfeld der ursprünglich für den 16.08.2023 geplanten Kabinettsbefassung bekannt gewordenen Verhandlungsstand rudert die Bundesregierung insbesondere beim Verlustvortrag und der Thesaurierungsbegünstigung wieder zurück. Auch die überarbeiteten Planungen zur Zinsschranke zeigen sich teilweise restriktiver. Dem stehen die befristete Einführung der degressiven AfA und eine um zwei Jahre verlängerte Investitionsprämie gegenüber. Auch der vorläufig gescheiterte Regierungsentwurf sah deutliche Steuerentlastungen vor. Die sog. volle Jahreswirkung sollte mit Entlastungen i.H.v. 5,73 Mrd. Euro aber spürbar geringer ausfallen als die 6,66 Mrd. Euro des Referentenentwurfs.  

Als Hauptänderung sticht der Verzicht auf die ursprünglich für die Jahre 2024 bis 2027 geplante Aussetzung der Mindestgewinnbesteuerung beim Verlustvortrag mit anschließend auf 10 Mio. Euro erhöhtem Sockelbetrag hervor. Stattdessen ist nunmehr lediglich vorgesehen, die Prozentgrenze, bis zu der Verluste oberhalb von 1 Mio. Euro verrechnet werden dürfen, in den Jahren 2024 bis 2027 vorübergehend von aktuell 60 auf 70 Prozent anzuheben.

Darüber hinaus kommt es im Vergleich zum Referentenentwurf zu zahlreichen weiteren Änderungen:

  • Für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nach dem 30.09.2023 und vor dem 01.01.2025 angeschafft werden, soll befristet die degressive AfA i.H.v. bis zu 25 Prozent, höchstens dem 2,5-fachen der linearen Abschreibung, wiedereingeführt werden
  • Die Klimaschutz-Investitionsprämie soll u.a. 2 Jahre länger für in den Jahren 2024 bis 2029 begonnene Investitionen gewährt werden.  
  • Bei der Forschungszulage soll der pauschale Stundensatz bei Einzelunternehmern von 40 auf 70 Euro angehoben werden; Kleine und Mittlere Unternehmen i.S.d. AGVO sollen eine Erhöhung der Forschungszulage um 10 Prozentpunkte auf 35 Prozent beantragen können.
  • Bei der Zinsschranke sieht der Regierungsentwurf im Vergleich zum Referentenentwurf keine Streichung der Konzernklausel und des Eigenkapital-Escapes vor. Unter grundsätzlicher Beibehaltung der beiden Escape-Regelungen sollen diese vielmehr durch vereinzelte Anpassungen u.a. des Stand-Alone Merkmals an die Vorgaben der ATAD angepasst werden. Die Stand-Alone Klausel soll demnach nur greifen, wenn der Steuerpflichtige keiner Person i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahesteht und über keine Betriebsstätte außerhalb des Staats des Wohnsitzes, gewöhnlichen Aufenthalts, Sitzes oder der Geschäftsleitung des Steuerpflichtigen verfügt. Zudem schraubt der Regierungsentwurf die ursprünglich im Referentenentwurf vorgesehene Umwandlung der Freigrenze i.H.v. 3 Millionen Euro in einen Freibetrag wieder zurück. Somit soll es bei der Freigrenze bleiben. An der vorgesehenen Einführung der Anti-Fragmentierungsregel, wonach die Freigrenze i.H.v. 3 Millionen Euro im Falle von gleichartigen Betrieben nur einmal genutzt werden kann, wird unverändert festgehalten. Die Zinsschranke soll erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden sein, die nach dem Tag des Gesetzesbeschlusses beginnen und nicht vor dem 01.01.2024 enden.
    Darüber hinaus sieht der Entwurf in Folge der Anpassung der Stand-Alone Klausel in § 4h EStG eine Streichung des § 8a Abs. 2 KStG sowie eine Anpassung des § 8a Abs. 3 KStG in Reaktion auf die BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 11.11.2015, I R 57/13, BStBl. II 2017, S. 319) vor. Der BFH hatte seinerzeit pro Steuerpflichtigen entschieden, dass bei der Prüfung der 10 Prozent-Grenze bei der schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung Vergütungen für Fremdkapital der einzelnen qualifiziert beteiligten Gesellschafter entgegen der Verwaltungsauffassung (BMF-Schreiben vom 04.07.2008, Rz. 82) nicht zusammenzurechnen sind. Dass jeder qualifiziert Beteiligte i.S.d. Vorschrift isoliert betrachtet werden muss, ergibt sich laut BFH aus dem eindeutigen Wortlaut des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG („an einen […] Gesellschafter“). Der Wortlaut soll nun dahingehend angepasst und somit die Verwaltungsauffassung gesetzlich implementiert werden (Nichtanwendungsgesetzgebung).
  • Bei der Zinshöhenschranke wird im Vergleich zum Referentenentwurf in den Regierungsentwurf ein neuer Absatz 2 eingefügt. Sofern der Zinssatz den Höchstsatz ausschließlich aufgrund einer dem Vertragsschluss nachfolgenden Änderung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB überschreitet, soll die Zinshöhenschranke erst nach Ablauf eines Monats nach dem Zeitpunkt der Anpassung des Basiszinssatzes Anwendung finden. Somit soll die Abzugsbeschränkung bei einer Anpassung des Zinssatzes innerhalb des Monats insoweit nicht greifen. Die Zinshöhenschranke soll erstmals für Zinsaufwendungen anzuwenden sein, die nach dem 31.12.2023 entstehen.
  • Die im Referentenentwurf angekündigte Reform der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EstG) wird teilweise zurückgenommen: So wird auf die geänderte Verwendungsreihenfolge verzichtet (keine vorrangige Entnahme steuerfreier Gewinne oder von Altrücklagen) und auch eine Berücksichtigung der Thesaurierungsbegünstigung im Vorauszahlungsverfahren ist nicht mehr vorgesehen.
  • Auch bei den Missbrauchsvermeidungsvorschriften bei Abspaltungen (§ 15 Abs. 2 UmwStG) sind materielle Veränderungen vorgesehen. Abspaltung auf eine Schwestergesellschaft sollen wieder möglich sein. Verbundene Unternehmen i.S.d. § 271 Abs. 2 HGB sollen demnach nicht als außenstehende Personen angesehen werden. Ebenfalls soll ausdrücklich geregelt werden, dass die mittelbare Veräußerung einer an der Spaltung beteiligten Gesellschaft an außenstehende Personen schädlich für die steuerneutrale Spaltung ist. Laut Gesetzesbegründung soll dies im Einklang mit der bisherigen Rechtslage stehen. Der Wortlaut der derzeitigen Fassung des § 15 Abs. 2 UmwStG erfasst mittelbare Veräußerungen allerdings nicht und spricht lediglich von der Veräußerung von "Anteilen an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft".
    Der Regierungsentwurf bestätigt auch die rückwirkende zeitliche Anwendungsregelung des Referentenentwurfs. Alle Spaltungen, die am 14.07.2023 (Datum des Referentenentwurfs) noch nicht zum Handelsregister angemeldet waren (!), sollen danach von der Neuregelung erfasst sein.
  • Die Mitteilungspflicht für bestimmte innerstaatliche Steuergestaltungen wird neben einigen Detailänderungen um eine neue Anwendungsregelung ergänzt. Demnach soll das BMF die Befugnis erhalten, das Startdatum der neuen Mitteilungspflicht selbst per Bekanntmachung festzulegen. Der Tag soll mind. 1 Jahr zuvor bestimmt werden. Als spätester Termin ist der 31.12.2027 vorgesehen.
  • Dienstwagenbesteuerung: Die Versteuerung mit 0,25 Prozent soll für reine Elektrofahrzeuge, die vor dem 01.01.2031 angeschafft werden, bis zu einem Brutto-Listenpreis von bis zu 80.000 Euro möglich sein (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Nr. 3 und Satz 3 Nr. 3 EStG-E).
  • Aufnahme einer MoPeG-Folgeanpassung in das Grunderwerbsteuergesetz, wonach das Inkrafttreten des MoPeG nicht zu einer Verletzung von Nachbehaltensfristen führen soll. Die §§ 5, 6 und 7 Abs. 2 GrEStG sollen für begünstigte, bereits verwirklichte Erwerbsvorgänge bis zum Ablauf der Fristen mit der Maßgabe weiter anzuwenden sein, dass an die Stelle der Gesamthand das Gesellschaftsvermögen i.S.d. MoPeG tritt.
  • Elektronische Rechnung (§ 14 UStG): u.a. Erweiterung der Übergangsregelungen für ausstellende Unternehmer mit einem Gesamtumsatz von nicht mehr als 800.000 Euro. Diesen Unternehmern wird ein Jahr länger, also bis Ende 2026, gestattet, Papierrechnungen oder vorbehaltlich der Zustimmung des Empfängers, Rechnungen in jeglichem elektronischen Format zu nutzen.
  • Keine Anpassung der zu meldenden Daten des Kassensicherungssystems nach § 146a Abs. 4 AO.

In dem im Gegensatz zum WtChancenG am 16.08.2023 vom Bundeskabinett beschlossenen Haushaltsfinanzierungsgesetz soll darüber hinaus durch eine Änderung in § 10 Abs. 2 Satz 2 Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) der CO2-Preispfad geändert und damit die im vergangenen Jahr angesichts der Energiekrise vorgenommene Absenkung teilweise zurückgenommen werden. Im Jahr 2024 soll der CO2-Preis demnach 40 Euro, im Jahr 2025 50 Euro betragen.

Die Kabinettsbefassung zum WtChancenG wird voraussichtlich bis Ende August nachgeholt. Danach soll der Bundesrat am 29.09.2023 zum WtChancenG Stellung nehmen. Das weitere Gesetzgebungsverfahren soll bis Ende 2023 abgeschlossen werden.

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