Abkommensrechtliche Dreieckskonstellationen
BFH schafft Klarheit
In der Praxis kommen immer wieder Fälle vor, in denen Steuerpflichtige in Deutschland und einem weiteren Staat einen Wohnsitz haben und ihre Tätigkeit (teilweise) in einem dritten Staat ausüben. Häufig hat Deutschland mit den beiden anderen Staaten ein DBA abgeschlossen und das eine DBA weist Deutschland das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte zu und nach dem anderen DBA hat Deutschland die Einkünfte von der Besteuerung freizustellen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob Deutschland diese Einkünfte besteuern darf. Der BFH hat diesen Streitpunkt nun in einem am 06.10.2022 veröffentlichten Urteil geklärt (Urteil vom 01.06.2022, I R 30/18).
Freistellung in einem DBA reicht aus
Laut BFH stehen die deutschen DBA grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander und sind jeweils unabhängig voneinander auszulegen, sodass sich der Steuerpflichtige grundsätzlich auf jede Begünstigung berufen kann, die ihm eines dieser Abkommen gewährt.
Die Verpflichtung Deutschlands zur Freistellung bestimmter Einkünfte aufgrund eines DBA bleibe daher in einer Dreieckskonstellation auch dann bestehen, wenn ein mit einem weiteren Staat bestehendes DBA das Besteuerungsrecht für die betreffenden Einkünfte (als sogenannte Drittstaateneinkünfte) Deutschland zuweist.
Streitfall
Der Kläger hatte seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und pendelte von seiner Zweitwohnung in Frankreich in die Schweiz, wo er als Altenpfleger beschäftigt war. Den Arbeitslohn versteuerte er in Frankreich. Die Schweiz erhob keine Steuern. In seinen deutschen Einkommensteuererklärungen 2012 und 2013 gab er die Einkünfte als nach dem DBA Schweiz steuerfreie Einkünfte an.
Das Finanzamt folgte dem nicht und behandelte den Arbeitslohn als steuerpflichtig. Das Finanzgericht Münster gab der dagegen erhobenen Klage am 13.07.2018 statt, doch die Finanzbehörde legte gegen das Urteil Revision ein.
Revision scheitert
Der BFH wies die Revision zurück. Die Einkünfte aus der Tätigkeit als Altenpfleger sind zwar grundsätzlich steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, doch Deutschland hat diese Einkünfte von der Besteuerung freizustellen (Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA Deutschland–Schweiz). Sie unterliegen lediglich dem Progressionsvorbehalt.
Abkommensrechtliche Dreieckskonstellation
Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte steht
- nach dem DBA Deutschland–Schweiz dem Tätigkeitsstaat Schweiz,
- nach dem DBA Schweiz–Frankreich dem Ansässigkeitsstaat Frankreich (Grenzpendlerregelung) und
- nach Art. 18 DBA Deutschland–Frankreich als Drittstaateneinkünfte dem Ansässigkeitsstaat Deutschland zu.
Art. 13 DBA Deutschland–Frankreich ist nicht einschlägig, so der BFH.
Freistellung kann nicht durch anderes DBA aufgehoben werden
Das deutsche DBA mit Frankreich kann jedoch die Steuerfreistellung nach dem DBA mit der Schweiz nicht aufheben, erläutert das Gericht. Die Abkommen binden immer nur die Vertragsstaaten des jeweiligen DBA. Soweit es sich um dieselben Einkünfte handelt, kann die Freistellung nach einem DBA nicht durch die abweichende Zuweisung des Besteuerungsrechts in einem anderen Abkommen aufgehoben werden. Dabei komme es nicht darauf an, ob sich die Freistellung aus dem Methodenartikel oder aus dem Verteilungsartikel ergibt.
Kein Rückfall des Besteuerungsrechts
Das Besteuerungsrecht fällt laut BFH weder nach § 50d Abs. 8 noch nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG an Deutschland zurück. Die Schweiz habe auf ihr Besteuerungsrecht verzichtet, indem sie mit Frankreich ein DBA geschlossen habe, das Frankreich das Besteuerungsrecht zuweise. Außerdem folge die Nichtbesteuerung in der Schweiz nicht aus der Anwendung und Auslegung des DBA Deutschland–Schweiz, sondern aus der Grenzpendlerregelung im DBA Schweiz–Frankreich. Schließlich weist der BFH darauf hin, dass die Schweiz die Einkünfte auch dann nicht besteuert hätte, wenn der Kläger in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig gewesen wäre.
Eine eventuelle Nichtbesteuerung (weiße Einkünfte) kann nach Auffassung des Gerichts daher nur durch eine Subject-to-tax-Klausel im DBA verhindert werden, die hier nicht vorliegt.
Fazit und Handlungsempfehlung
Die Entscheidung des BFH ist zu begrüßen. In den Fällen, in denen die Finanzverwaltung eine abkommensrechtliche Freistellung von Einkünften aufgrund der Regelung in einem anderen DBA verweigert, sollte Rechtsbehelf eingelegt und auf die Entscheidung des BFH verwiesen werden.