EY/BDEW: Bis 2030 sollen 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen. Bis 2035 soll die Erzeugung dann fast ausschließlich grün sein. Wie würden Sie den jetzigen Ausbaustand bei den Erneuerbaren beschreiben?
Wünschel: Wir sehen, dass auf der ganzen Welt in die Erneuerbaren investiert wird. In den USA ist ein über 300 Milliarden US-Dollar schweres Klimaschutzpaket geschnürt worden. Die EU hat ihre Ziele erhöht und auch Deutschland hat seine Ausbauziele für Windkraft an Land, auf See und für Photovoltaik massiv angehoben. Das sind – inmitten der schwierigen Krise – sehr positive Signale. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in den letzten zehn Jahren schon einmal so viel Wandel gab. Und wir bei RWE sind Teil davon. Bis 2030 wollen wir weltweit mehr als 50 Milliarden Euro in unser grünes Portfolio investieren. Für Deutschland sind 15 Milliarden Euro vorgesehen. Hier wollen wir jedes Erneuerbaren-Projekt machen, das möglich ist.
Utermöhlen: Beim Ausbau von Windkraft auf See passiert gerade viel – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Vor Helgoland haben wir Ende letzten Jahres mit Kaskasi unseren sechsten Offshore-Windpark ans Netz angeschlossen. Ebenfalls in der deutschen Nordsee treiben wir gemeinsam mit unserem kanadischen Partner Northland Power die Entwicklung eines großen Offshore-Windclusters von mehr als 1,5 Gigawatt voran. Wenn wir den Blick über die Grenzen von Deutschland richten, dann geht schon heute ein großer Teil der mehr als 50 Milliarden Euro, die Katja gerade angesprochen hat, in den Ausbau unserer weltweiten Offshore-Windkapazität. Mit 18 Offshore-Windparks in fünf Ländern in Betrieb, sind wir weltweit die Nummer 2 für Windkraftanlagen auf hoher See.
Wie schätzen Sie die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen in Bezug auf die Energiewende ein? Glauben Sie, dass wir mit dem derzeitigen Kurs unsere Ziele für erneuerbare Energien erreichen werden?
Utermöhlen: Was Offshore betrifft, sollen bis 2030 mindestens 30 Gigawatt und bis 2045 mindestens 70 Gigawatt an Kapazitäten hinzugebaut werden. Stand heute steht Deutschland bei rund 8 Gigawatt. Die Ausbauziele sind also ambitioniert und richtig! Mehr Erneuerbare helfen dem Klima und vergrößern das Angebot an Strom; sie tragen dazu bei, die zuletzt hohen Energiepreise langfristig und dauerhaft zu senken. Also: ambitioniert, aber machbar. Mit den Zielen allein ist es natürlich nicht getan. Es ist ja nicht so, dass man neue Gigawattzahlen festsetzt und der Rest passiert von allein. Das geht nur über massive Investitionen. Wie das gehen könnte, zeigen gerade die USA mit dem „Inflation Reduction Act“, den Katja eben erwähnt hat. Einfache, gut umsetzbare und vom Ergebnis her gedachte Lösungen – das würde uns auch in Europa und in Deutschland helfen. Denn nur durch mehr Erneuerbare werden wir langfristig wieder Energiepreise auf einem vernünftigen Niveau haben, die Klimaziele erreichen und unsere Energieunabhängigkeit absichern.
Wünschel: Genau! Was es jetzt an Land konkret braucht, sind Flächen für Windparks und Solaranlagen. Deutschland brachte 2022 2,4 Gigawatt an neuen Onshore-Windkraftanlagen ans Netz – nötig sind jedes Jahr 7 Gigawatt. Das sind vier Windturbinen pro Tag und mehr als 1.000 Turbinen pro Jahr. Bei Solar müssen jedes Jahr 17 Gigawatt zugebaut werden. Auch hierfür braucht es Platz. Das nun gesetzlich verankerte 2-Prozent-Ziel für Windflächen ist ein sehr wichtiger Schritt, muss jetzt aber konsequent umgesetzt werden. Die genehmigungsfähigen Flächen, die dringend gebraucht werden, können nicht erst 2027 verfügbar sein. Hier sind nun vor allem die Bundesländer gefragt. Wir sehen schon richtige Ansätze. Ich war gerade in Bayern, bislang ein schwieriges Pflaster für Windenergie – vor allem wegen der „10 H“-Regel. Die besagt: Der Abstand eines Windrads zur nächsten Wohnbebauung muss das Zehnfache von dessen Höhe betragen. Diese Regel wurde nun zumindest gelockert. Das ist die richtige Richtung, auch wenn wir uns in allen Bundesländern für eine vollständige Abschaffung pauschaler Abstandsregeln einsetzen. Einen weiteren Vorstoß gibt es im Bereich Denkmalschutz, ein wesentliches Konfliktfeld für den Windkraftausbau. Bayern will eine Liste von 100 Denkmälern anfertigen. Nur für diese soll zukünftig eine Erlaubnis nach dem Denkmalschutzgesetz erforderlich sein. Eine interessante Idee, wenn sie sich in der Genehmigungspraxis schlank und rechtssicher umsetzen lässt. Ziel muss es sein, alle Denkmalschutzbelange schon bei der Ausweisung der Windenergiegebiete auf der Basis des überragenden öffentlichen Interesses für die Erneuerbaren abschließend zu klären.