Mehr Diversität – trotzdem bleibt Start-up-Landschaft weiterhin männlich
16 Start-ups mit mindestens einer Finanzierungsrunde in den ersten sechs Monaten 2024 hatten zumindest eine Frau im Gründungsteam, somit gibt es in knapp jedem vierten Team (26 %) eine Gründerin. Im Vorjahr lag dieser Wert mit 17 Prozent noch deutlich niedriger. Trotz dieses Anstiegs dominieren Männer die Start-up-Landschaft weiter stark: Mit 52 Start-ups wies die große Mehrheit der Jungunternehmen, die im bisherigen Jahresverlauf Risikokapital erhielten, ein ausschließlich männlich besetztes Gründungsteam auf.
„Start-ups leben von zündenden Ideen und Innovation – und genau dafür braucht es unterschiedlichste Erfahrungen und Denkanstöße. Hier ist vor allem Diversität gefragt, um verschiedenste Ansätze und Ideen zu bündeln. Das bedeutet auch, Teams mit Geschlechtervielfalt zu pushen. Nach vielen Jahren des Stillstands sehen wir heuer zum ersten Mal eine leicht positive Tendenz bei der Diversität: Gemischte Gründungsteams erhalten öfter und mehr Kapital. Das zeigt einerseits, dass die erhöhte Gründungsaktivität von Frauen in den letzten Jahren Früchte trägt und langsam bei den Finanzierungsrunden erkennbar ist und andererseits, dass die vielfach nachgewiesenen Vorteile von diversen Teams eine immer größere Rolle für Investor:innen spielen“, so Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.
„Mittlerweile kommt die Tatsache, dass Diversität zu besserer Performance führt, in vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen an. Auf rationaler Ebene teilen viele Menschen also die Meinung, dass eine gleichberechtigte Welt für uns alle besser ist. Auf emotionaler Ebene haben wir leider noch Aufholbedarf: Noch immer wird Feminismus oft als eine Kampfansage gegen Männer verstanden und damit vollständig falsch interpretiert – sowohl im wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen wie auch medialen Umfeld. Hier ist meiner Ansicht nach ein neues, positives Narrativ gefragt. Nur so können wir einen nachhaltigen Schritt zur mehr weiblicher Repräsentation schaffen“, sagt Lisa-Marie Fassl, Co-Gründerin Female Founders und General Partner bei Fund F.
Frauenanteil sinkt mit steigendem Finanzierungsvolumen
Dass es immer noch ein großes Ungleichgewicht gibt, erkennt man, wenn man die Diversität innerhalb der Start-up-Gründungsteams in Relation zu der Größe der Finanzierungsrunden betrachtet: So lag der durchschnittliche Frauenanteil bei allen Start-ups, die im vergangenen Halbjahr neues Kapital erhielten, bei 12,3 Prozent. Wie in den vergangenen Jahren gilt: Je größer die Finanzierungsrunde, desto kleiner ist der Frauenanteil. Einzige Ausnahme ist der Bereich bei Finanzierungen über 50 Millionen Euro, wo es allerdings mit Storyblok und Prewave nur zwei Runden gab. Das gemischte Founding Team von Prewave sorgt hier für einen Ausreißer nach oben und einen Frauenanteil von 25 Prozent.
„Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir uns mehr Unternehmen wie Prewave oder Storyblok wünschen würden, die es schaffen, internationales Kapital nach Österreich zu bringen. Leider lassen sich systemische Probleme, wie sie seit vielen Jahren in Österreich bekannt und oft diskutiert worden sind, nicht durch schöne Worte und kurzfristig orientierte Ankündigungspolitik ändern – sondern nur durch gezielte Maßnahmen, die einen nachhaltigen, langfristig positiven Effekt auf den Wirtschaftsstandort haben. Dazu gehören selbstverständlich auch Maßnahmen, die den Kapitalmarkt stärken und Kapital umverteilen – und ein deutlich besseres Instrument sind, um Innovation, Wirtschaftskraft und Wohlstand zu fördern, als unsere bisherigen Unterstützungssysteme“, so Fassl.
Gründerinnen in Top-Sektoren unterrepräsentiert
Ein weiterer Grund für die Gender Investment Gap ist der erkennbar unterschiedliche Sektor-Fokus von Gründer:innen. So ist der Anteil von Gründerinnen in vier der fünf nach Finanzierungssummen Top-Sektoren im ersten Halbjahr nur unterdurchschnittlich – teilweise liegt er bei null. Während der Frauenanteil beim stärksten Sektor Software & Analytics noch bei zwölf Prozent – und damit leicht über dem Durchschnitt mit elf Prozent – liegt, sind es im Bereich Health zehn Prozent und im Bereich Energy gerade einmal fünf Prozent. In den Sektoren FinTech/InsurTech und Hardware findet sich keine einzige Gründerin in den Unternehmen, die im ersten Halbjahr 2024 eine Finanzierungsrunde abgeschlossen haben.
Am stärksten vertreten sind Gründerinnen im Food-Bereich, hier ist jedes zweite Gründungsmitglied weiblich. Auch in den Bereichen Mobility (22 %), Recruitment (20 %) und Media & Entertainment (17 %) ist der Frauenanteil überdurchschnittlich hoch. In acht der insgesamt 16 untersuchten Sektoren befindet sich bei den im bisherigen Jahresverlauf finanzierten Start-ups keine einzige Frau in den Gründungsteams (AdTech, ConstructionTec/Green Building, E-commerce, Education, FinTech/InsurTech, Hardware, Professional Services sowie PropTech).
Haas dazu: „Generell erhalten Start-ups, die auf Know-how aus dem MINT-Bereich basieren, deutlich mehr Kapital als andere Jungunternehmen. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Technologie-Start-ups, die aktuell überdurchschnittlich viel Kapital einsammeln. Und gerade hier sind Frauen in den Gründungsteams unterrepräsentiert. Das hängt auch damit zusammen, dass der Frauenanteil in den MINT-Fächern mit rund 20 Prozent immer noch gering ist. Es ist essenziell, bei Frauen nicht nur das Interesse für diese Sektoren zu wecken, sondern auch Begabungen zu fördern und den Weg zu ebnen. Ich rechne fest damit, dass die Zahl der Gründerinnen auch in MINT-Sektoren weiter steigen wird – und sich in der Folge auch der ,Gender Investment Gap‘ Stück für Stück weiter schließen.“