Die zentrale Aufgabe der Wertermittlung besteht darin, alle wertrelevanten Aspekte einer Immobilie zu berücksichtigen. Dazu gehören neben der Erfassung der Zahlungsströme und Liegenschaftsrisiken auch die Gebäudeeigenschaften, die Standort- und Umweltqualität, die Auswirkungen der Immobilie auf die Gesellschaft (u.a. Schaffung von Arbeitsplätzen, Verbesserung der Lebensqualität) und die wirtschaftliche Tragfähigkeit (u.a. Berücksichtigung klimabedingter Risiken und Ressourcenschwund). Dies zeigt, dass eine Vielzahl von relevanten Merkmalen durch den Bewerter zu erfassen sind und verstärkt darauf geachtet werden muss, dass keine Doppelzählungen durch eine intransparente Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten erfolgen, wie dies bei der additiven Methode der Fall ist. Die Lösung stellt hier der «integrative» Ansatz dar, bei dem auf Basis einer Longlist (vgl. NUWEL-Leitfaden) neben den technischen Merkmalen (additiver Ansatz) auch mögliche wertrelevante Immobilienmerkmale in allen drei Nachhaltigkeitsdimensionen (Ökologie, Soziales, Ökonomie) im Einzelfall zu prüfen sind. Anhand dieser Gesamtliste kann der Schätzer wie bei einer Checkliste überprüfen, ob das jeweilige Merkmal zutreffend und wertrelevant ist. Durch diese einheitliche Liste, die sowohl nachhaltigkeitsrelevante Merkmale (u.a. Makro- und Mikrolage, Grundstücksbeschaffenheit, Funktionalität, Lebensdauer etc.) als auch nicht nachhaltigkeitsrelevante Merkmale (u.a. Ressourcenverbrauch, Gesundheit, Funktionalität, Lebensdauer, Flächenverbrauch etc.) beinhaltet, wird eine Differenzierung zwischen diesen Merkmalen aufgehoben und die Gefahr von Doppelzählungen oder gar Nichtberücksichtigungen deutlich minimiert.
Bei der Wahl der Discounted Cashflow (DCF) Bewertungsmethode werden alle wertrelevanten Aspekte, einschliesslich der Nachhaltigkeitsmerkmale, in den modellierten Cashflows berücksichtigt. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Nachhaltigkeitsmerkmalen (siehe vorangegangener Abschnitt) wird folglich monetarisiert. So können ESG-bedingte Massnahmen wie die Vermietung von Dachflächen für Solaranlagen zusätzliche Einnahmen generieren, die bei einem Vergleichsobjekt ohne Solaranlage nicht vorhanden wären. Bei ESG-bedingten Kosten kann es sich um solche für die Sanierung einer Immobilie handeln, um diese energieeffizienter zu gestalten und auf diese Weise langfristig Kosten zu sparen (u.a. Senkung der Energiekosten durch erneuerbare Energiequellen, Senkung der Instandhaltungskosten, Senkung der Reparaturkosten durch bessere Wärmedämmung und Verwendung hochwertiger Materialien zur Vermeidung von Bauschäden sowie Feuchtigkeitsproblemen, Senkung der Betriebskosten, da in energieeffizienten Gebäuden in der Regel weniger Reinigungs- und Wartungsarbeiten anfallen).
Nur Faktoren, die nicht im Cashflow berücksichtigt werden können, gehen als Objektrisiko in die Modellierung des Diskontierungs- bzw. Kapitalisierungszinssatzes ein. Die Abbildung 2 gibt einen Überblick, welche Nachhaltigkeitseigenschaften in die einzelnen Werttreiber «Mietertrag», «Leerstand», «Betriebs-, Instandhaltungs- oder Instandsetzungskosten», «Diskontierungs- und Kapitalisierungszinssatz» integriert werden können. Konkret bedeutet dies, dass für den Jahresrohertrag bei nachhaltigen Immobilien ggf. von steigenden Mieten (angepasste Wachstumsraten und höhere Nettozahlungsbereitschaft der Mieter aufgrund sinkender Betriebskosten) und damit von längeren Mietvertragslaufzeiten aufgrund besserer Vermarktbarkeit und eines kleineren Marktes auszugehen ist. Denn in energieeffizienten Gebäuden ist das Wohnen komfortabler und gesünder, was sich in höheren Mietpreisen und einer höheren Mieterzufriedenheit niederschlagen kann. Auf der Kostenseite bedeutet dies sinkende Bewirtschaftungskosten (u.a. aufgrund von Sonderinvestitionen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit eines Gebäudes während des Investitionszeitraums). Ebenso kann der Diskontierungssatz aufgrund des geringeren Objektrisikos sinken. Durch die insgesamt bessere Vermarktbarkeit nachhaltiger Immobilien wird sich auch eine geringere Exit-Yield (höherer Immobilienwert, geringeres Risiko, Potenzial zur langfristigen Wertsteigerung) in den diskontierten Zahlungsströmen widerspiegeln.