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Zukunft des Schweizer Retailbankings: Herausforderungen und Chancen bis 2035


Schweizer Retailbanken sind robust und etabliert, wissen aber, dass  Innovation und Anpassungen nötig sind, um den zukünftigen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.


Überblick

  • Schweizer Retailbanken stehen vor einem dynamischen Umfeld, das strategische Agilität und vorausschauende Planung erfordert.
  • Die Balance zwischen Kosteneffizienz und exzellenter Kundenbetreuung wird zunehmend zur Erfolgsformel der Branche.

Das Schweizer Retailbanking hat sich als stabiler Eckpfeiler der heimischen Wirtschaft etabliert, getragen von einer loyalen Kundenbasis und soliden Erträgen. Doch während die Branche in der Vergangenheit durch starke Kundenbindung und bewährte Geschäftsmodelle punkten konnte, stehen die Banken heute vor einem zunehmend komplexen Umfeld. Neue Technologien, steigender regulatorischer Druck und sich wandelnde Kundenbedürfnisse fordern eine kontinuierliche Anpassung.

Laden sie die EY Retailbanken Studie 2035 hier herunter:

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These 1: Margen im Retailbanking reduzieren sich weiter

Der Wirtschaftsstandort Schweiz wird im Kontext der geopolitischen Spannungen weiterhin als stabil und auch in Zukunft als attraktiv eingestuft. Die These einer graduellen Margenerosion, getrieben durch das Zinsumfeld (mit einer temporären Verbesserung der Passiv- und Aktivmarge), steigende Kundenerwartungen sowie durch einen verschärften Wettbewerb auch aufgrund neuer Technologien und Plattformen, wurde bestätigt. Trotz des zunehmenden Einflusses neuer Anbieter und anderer Herausforderungen bleibt die Branche gelassen. Dabei setzt sie auf zentrale Merkmale des Retailbankings, wie Kundenbindung und Beratungsqualität. Die Erträge im Kerngeschäft der Fristentransformation durch Volumenausweitung stabil zu halten, könnte sich dagegen als Auslaufmodell erweisen. Und im strategisch wichtigen Anlagegeschäft könnten die Margen weiter sinken und nicht mit zusätzlichem Volumen kompensiert werden.
 

These 2: Innovative Technologien verschärfen den Wettbewerb

Die Auswirkungen innovativer Technologien auf den Wettbewerb werden unterschiedlich bewertet, insgesamt aber als überschätzt bezeichnet. Echte Innovationen mit materiellen Implikationen auf dieWertschöpfung seien selten. Ändern könnten die künstliche Intelligenz (KI) oder Quantum Computing – doch auch hier nicht von heute auf morgen. FinTech- und BigTech-Unternehmen werden als Katalysatoren für Innovationen sowie als Inbegriff von «Convenience» gesehen, aber nicht als Konkurrenten, jedenfalls solange sie nicht die Kontrolle über die Kundenschnittstelle übernehmen. Bei Tech-Multis wird davon ausgegangen, dass der Schweizer Markt aufgrund der geringen Grösse (noch) zu wenig interessant ist für einen Eintritt. Auch die besonderen regulatorischen Hürden schirmen den Schweizer Markt vor ihnen ab.
 

These 3: Gesellschaftlicher und regulatorischer Druck bleibt hoch

Vertrauen ist für Banken zentral, und auch regionales Wirken ein oft genanntes Argument, mit dem sich Banken abheben können, nicht zuletzt auch beim Thema Nachhaltigkeit. Gesellschaftliche Verantwortung ist darüber hinaus für die Banken zwar ein Thema, bleibt aber eher diffus in der Umsetzung. Eine Rolle spielen spezifische Themen, wie Managerlöhne und gerechte Verzinsung.

Wendepunkt
Seit der Finanzkrise 2008 hat der Druck der Regulierungsbehörden stetig zugenommen.

Als Auslöser für den zunehmenden Regulierungsdruck gelten die CS-Krise, die seit der Finanzkrise von 2008 verschärften Anforderungen an Eigenmittel und Liquidität, Cyberrisiken, Datenschutz sowie Vorgaben bezüglich Nachhaltigkeit. Banken sehen in der Regulierung durchaus ein Qualitätssiegel, das gesellschaftliche und wirtschaftspolitische Erwartungen mit operativen Anforderungen verbindet und damit im Interesse des Finanzplatzes und der einzelnen Institute liegt. Kritisch gesehen werden aber nicht-proportionale Regulierung und Kostenimplikationen.

These 4: Nachhaltigkeitsinitiativen bringen Retailbanken keinen materiellen Mehrwert

Es herrscht Einigkeit darüber, dass Nachhaltigkeitsinitiativen zwar zu einem Standard geworden sind, aber auch darüber, dass Nachhaltigkeit kein wirkliches Differenzierungsmerkmal ist und wenn, dann nur, wenn sie regional evident gemacht werden kann. Ein andauerndes, starkes Kundenbedürfnis, bedeutsame Ertragspotenziale und ein damit einhergehender wirtschaftlicher Mehrwert fehlen weitestgehend. Dafür steigen die Reputationsrisiken, zumal in vielen Bereichen gesetzliche Vorgaben fehlen. Banken fühlen sich bisweilen zunehmend in die Rolle eines «Nachhaltigkeitspolizisten» gedrängt, der Kunden von Nachhaltigkeit überzeugen muss.

These 5: Traditionelle Geschäftsmodelle sind kein Erfolgsgarant mehr

Eine weitere zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass traditionelles Retailbanking sehr wohl ein erfolgreiches Geschäftsmodell bleibt. Dies entbindet die Branche aber nicht davon, sich stetig anzupassen. Agilität wird etwa gefordert mit Blick auf makroökonomische Entwicklungen, Ertragsdiversifikation, Positionierung im Finanzökosystem, Kostenmanagement und Kunden-Ausrichtung. Verglichen mit anderen Branchen besteht Raum für Verbesserung, u.a. bei der Nutzung der Kundendaten und ihrer Analyse – ein Schatz, den es erst noch zu heben gilt.

Der Fokus auf traditionelle Aufgaben entbindet die Branche nicht davon, sich stetig anzupassen.

These 6: Neue Beratungsansätze sind nötig zur Ausschöpfung von zusätzlichem Kundenertragspotenzial

Das Retailbanking gilt als bodenständig und verlässlich, benötigt jedoch frischen Wind in den Beratungsansätzen. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Retailbanken proaktiver auf Kunden zugehen, Lebensereignisse aktiver nutzen (und mithilfe der Daten auch rechtzeitig erkennen) sowie Kunden über den gesamten Lebenszyklus begleiten sollten. Ziel der Banken sollte es sein, zur vertrauten Hausbank des Kunden zu werden. Die Beratung sollte dazu einen ganzheitlicheren Mehrwert für den Kunden bieten, der persönliche und vertrauensvolle Austausch bleibt entscheidend. KI wird das vorerst nicht ändern, aber die Bankberater im Hintergrund unterstützen und die Abläufe effizienter machen.

These 7: Retailbanken müssen sich zu integrierten Finanzdienstleistern wandeln, um den Customer Lifetime Value zu sichern

Um eine langfristige Kundenbindung zu erreichen, müssen Retailbanken ihre Kunden über den gesamten «finanziellen Lebenszyklus» intensiver beraten. Die Erweiterung ihres Angebots orientiert sich an Lebensphasen und -ereignissen, oft genannt wird die Finanzplanung. Die Abstimmung von Angebot und Bedürfnissen gestaltet sich teilweise schwierig, weil Kunden zuerst aufgeklärt werden müssen – es fehlt an finanziellem Grundwissen (Financial Literacy). Ein umfassenderes Angebotssortiment verkompliziert allerdings auch Beratung und Prozesse. Der Blick zu den Versicherungen gibt Anlass zu Skepsis bezüglich Bancassurance bzw. Allfinanz: Misserfolge in der Vergangenheit, die Komplexität des Geschäfts, die Regulierung und die Zurückhaltung bei Kooperationen lassen Retailbanken zögern.

Die Kunden haben hohe Erwartungen an ihre Interaktionen mit Banken und wünschen sich den gleichen Komfort, den sie auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens geniessen, sowie die Verfügbarkeit rund um die Uhr auf allen Kanälen.

These 8: Steigende Erwartungen an das Kundenerlebnis erhöhen die Kosten

Die Kundenerwartungen an die Interaktionen mit Banken sind hoch. Den Komfort aus anderen Bereichen des täglichen Lebens wünscht man sich auch von Banken, zudem eine Verfügbarkeit rund um die Uhr auf allen Kanälen, möglichst ohne Unterbrüche und doch mit Interoperationalität – man will bei einem Kanalwechsel, etwa von Online zum Bankberater, nicht nochmals dasselbe gefragt werden. Alle Kundenwünsche umzusetzen, ist jedoch teuer, gerade aufgrund veralteter und verschachtelter IT-Infrastrukturen. Banken müssen hier einen Balanceakt vollziehen zwischen der Erfüllung der Kundenerwartungen und der Effizienz ihrer Betriebsmodelle. Filialen behalten als Kanal ihre grosse Bedeutung und sind für einen hohen Marktanteil in den Regionen wichtig. Ihre Nutzungsart wird weiter optimiert werden.

These 9: Wertschöpfungstiefen von Retailbanken werden sich zunehmend unterscheiden

Die Studie kam ausserdem zu dem Schluss, dass die Wertschöpfungstiefe im kommenden Jahrzehnt nicht radikal abnehmen wird. Die Notwendigkeit, Prozesse bzw. das Design von Wertschöpfungsketten zu überprüfen, steht ausser Frage. Allerdings geben Banken selbst nicht gerne eigene Tätigkeiten an Dritte ab. Zwar gäbe es Tätigkeiten, die in Betracht kommen könnten, aber die Angst vor dem Kontrollverlust und vor Risiken ist gross, das Kosteneinsparungspotenzial oft zu tief; unverhandelbar ist zudem die Kundenschnittstelle. Aufgrund der komfortablen Situation der Retailbanken ist der Druck, etwas zu unternehmen, insgesamt schlicht zu gering. Sollte aber eine Auslagerung künftig dennoch notwendig werden (z.B. aufgrund des Fachkräftemangels oder als Kostensenkungsmassnahme), muss dies von langer Hand vorbereitet werden, da zahlreiche Schnittstellen geschaffen werden müssen.

These 10: Zukünftige Anforderungen erfordern neue Mitarbeiterprofile

Bei der Rekrutierung geeigneter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stehen die Banken vor der Herausforderung, bestehende Stellenprofile an die Anforderungen der Zukunft anzupassen. Gefordert ist eine Neuausrichtung der Berufsrollen, v.a. in technischen Bereichen. Die Weiterbildung älterer Mitarbeitenden und die Ausbildung sowie Weiterentwicklung jüngerer Angestellter ist zentral. Demografische Veränderungen werden den Fachkräftemangel in Zukunft noch verschärfen. Um attraktiv für Talente zu bleiben, müssen Banken zudem ihren Mitarbeitenden «Purpose», also sinnstiftende Arbeitsinhalte und gute Entwicklungsmöglichkeiten mit flexiblen Arbeitszeitmodellen anbieten.

Wahrscheinlichkeit disruptiver Veränderungen

Die Studie hat auch untersucht, wie wahrscheinlich die studienteilnehmenden Banken disruptive Veränderungen erwarten. Mittelfristig werden disruptive Veränderungen mit einem Mittelwert von 17% tief eingeschätzt wird. Wenig überraschend wird die Eintrittswahrscheinlichkeit langfristig höher eingeschätzt. Hier liegt der Mittelwert bei 45%. Das Retailbanking wird es auch noch in zehn Jahren geben, das scheint für sie festzustehen. Dennoch: Die Teilnehmer sind sich grundsätzlich einig, dass vieles in Bewegung ist und dass die Banken ihrerseits in Bewegung bleiben müssen, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können oder gar selbst Veränderungen voranzutreiben.

Fazit

Retailbanken können aus einer Position der Stärke heraus agieren:

Sie haben die bisherigen Herausforderungen gut gemeistert, sind in ihren Regionen fest verwurzelt und geniessen das Vertrauen der Kunden. In den kommenden Jahren wird es zu bedeutenden Veränderungen kommen, die aber für die Schweizer Retailbanken nicht disruptiv sein dürften. Technologische Innovationen, steigender Wettbewerbsdruck und veränderte Kundenbedürfnisse zwingen die Banken eine kontinuierliche Anpassung und Neuausrichtung ihrer Strategien. Die Nähe zum Kunden bleibt ein zentraler Erfolgsfaktor.

Die Herausforderungen sind beträchtlich und die Banken müssen über strategische Fragen und gezielte Investitionen in Technologie und Personal nachdenken.

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