6 Minuten Lesezeit 28 Juni 2019
Person in Bewegung

Wie Blockchain die Mehrwertsteuer zukunftsfähig macht

Von Peter Schilling

Partner, Indirekte Steuern, Leiter Tax Transformation, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland, Schweiz, Österreich

Unterstützt Unternehmen bei der umsatzsteuerlichen Strukturierung von Transaktionen und der Einführung effizienter Prozesse. Lebt, joggt und radelt in Berlin.

6 Minuten Lesezeit 28 Juni 2019

Weitere Materialien

  • EY Tax & Law Spezial - 50 Jahre Mehrwertsteuer (pdf)

Die Mehrwertsteuer ist kompliziert und fehleranfällig. Blockchain kann eine Antwort auf die Probleme von Unternehmen und Behörden liefern.

Wann immer es um Zukunftsprojekte in der Wirtschaft geht, ist das Thema Blockchain nicht weit. Ob in der Automobilbranche oder im Einzelhandel: Die Technologie gilt als mögliche Lösung für viele Herausforderungen. Auch in der Welt der Umsatzsteuer hat sie das Potenzial, neue Möglichkeiten zu eröffnen und Prozesse transparenter, sicherer und schneller zu gestalten. Vor allem Unternehmen und Finanzbehörden könnten davon profitieren.

  • Was ist Blockchain?

    Angenommen, es gibt eine enorme Anzahl von Nadeln in einem riesengroßen Heuhaufen, der aus zahlreichen Häufchen besteht. Und angenommen, es existiert eine Technologie, die weiß, wann, wo und wie die einzelnen Nadeln in den Heuhaufen gekommen sind und die genau abbilden kann, wo diese einzelnen Nadeln sind und sie wieder zu einer Kette zusammenfügen kann. Genau das ist Blockchain. 

    Einzelne Elemente der Kette sind kryptographisch miteinander vernetzt und besitzen eindeutige Schlüssel zueinander. Dadurch ergibt sich eine aufeinander aufbauende, permanente und unveränderliche Aufzeichnung aller Informationen.

Potenzial für Unternehmen

Die Abwicklung der betrieblichen Pflichten im Zusammengang mit der Umsatzsteuer sorgt bei Unternehmen für Aufwand und  Kosten – und das, obwohl Unternehmen lediglich Steuereintreiber für den Fiskus sind und durch die Steuer eigentlich der Endverbraucher belastet werden soll. Dabei ist die Umsatzsteuer keine einfache „Buchhalter-Steuer“. So müssen Unternehmen beispielsweise bei jeder Lieferung über die Grenze prüfen, ob ein Nachweis über den tatsächlichen physischen Warentransport vorliegt. Auch der Abzug von Umsatzsteuer als Vorsteuer ist nur bei Vorliegen ordnungsgemäßer Lieferantenrechnungen möglich. Bisher finden diese Prüfschritte oft noch manuell statt – und das kostet Zeit. Wenn nun alle Daten mittels Blockchain sicher gespeichert und für die an der Transaktion Beteiligten sichtbar wären, könnten die administrativen Kosten gesenkt werden. 

Wäre auch die Zahlung der Umsatzsteuer an die Technologie gekoppelt, müssten Unternehmen unter Umständen auch gar keine Umsatzsteuervoranmeldungen oder Jahresmeldungen mehr erstellen. Auch hier könnten sie entsprechend Zeit und Ressourcen sparen. Außerdem würden Cash-Flow-Nachteile der Vergangenheit angehören, wenn an die Finanzbehörden die durch die Steuerpflichtigen abzuführende Umsatzsteuer taggleich mit Erstattungsbeträgen (u.a. Vorsteuer) verrechnet werden könnte.

Wäre auch die Zahlung an die Blockchain-Technologie gekoppelt, müssten Unternehmen unter Umständen gar keine Umsatzsteuervoranmeldungen oder Jahresmeldungen mehr erstellen.

Blockchain kann nachgelagerte Risiken verringern

Eine weitere Chance, die sich durch Blockchain ergibt, betrifft nachgelagerte Risiken. Derzeit finden Betriebsprüfungen im Regelfall für Prüfungszeiträume statt, die bereits einige Jahre zurückliegen. Wird dabei festgestellt, dass vermeintlich steuerfreie Geschäftsvorfälle doch steuerpflichtig waren, ist es für die Unternehmen oft schwierig, zusätzlich anfallende Umsatzsteuer noch an die Geschäftspartner weiterzubelasten. Neben dem erheblichen Aufwand zur Korrektur von Rechnungen stellt die Verzinsung rückständig erhobener Umsatzsteuer  oft eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Entsprechende unternehmerische Risiken könnten mithilfe von Blockchain – und damit verbunden einer Steuerverrechnung in Echtzeit – deutlich verringert werden.

Potenzial für Behörden

Zu den größten Herausforderungen der Finanzbehörden zählt der Kampf gegen den Umsatzsteuerbetrug. Die Europäische Kommission geht EU-weit von jährlichen Steuerausfällen bis zu rund 160 Milliarden Euro aus. Die transaktionale Meldung von Daten zu Geschäftsvorfällen und deren Authentifizierung mittels Blockchain kann dazu beitragen, einige Betrugsmaschen deutlich zu erschweren.

Daten zu Geschäftsvorfällen können in Echtzeit mit den Finanzbehörden ausgetauscht und mittels Blockchain authentifiziert werden.

Der große Vorteil der Technologie ist, dass Daten zwischen den an einem Geschäftsvorfall oder einer Lieferkette Beteiligten vertrauenswürdig ausgetauscht werden können. Ein Anwendungsbeispiel für Blockchain sind umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen, zum Beispiel, wenn Waren physisch von Deutschland nach Frankreich geliefert werden. Dabei ist die Umsatzsteuerbefreiung im Abgangsland aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. So muss unter anderem nachgewiesen werden, dass die Warensendung physisch in einem anderen EU-Mitgliedsstaat empfangen wurde. Als Nachweis dient hierfür in Deutschland die sogenannte Gelangensbestätigung, mit der ein Empfänger aktiv quittiert, dass er die Ware erhalten hat. Bisher verfügt das Mehrwertsteuersystem auf der Seite der Finanzbehörden aber noch nicht über fortwährend stattfindende automatisierte Kontrollmöglichkeiten über die Warenlieferungen. Die Folge: grenzüberschreitender Steuerbetrug wird erleichtert.

Durch die Meldung von Daten über die Lieferung, Inrechnungstellung, Bezahlung  und Inempfangnahme der Warensendung bzw. auch Dienstleistungen könnten die Finanzbehörden durch automatisierte Kontrollsysteme die Plausibilität gemeldeter Transaktionen überprüfen. Im Besonderen systematisch unregelmäßig abgewickelte Sachverhalte könnten dann sehr viel schneller als heute erkannt werden und die Finanzbehörden könnten eingreifen, bevor es über die Zeit hinweg zu erheblichen Steuerschäden kommen kann. Indem die Daten mittels Blockchain authentifiziert („ge-hasht“) werden, können in den Quellsystemen bei den Steuerpflichtigen zwar weiterhin Datenmanipulationen stattfinden – diese können jedoch durch Abgleich mit den in der Blockchain aufgezeichneten Werten schnell identifiziert werden.

Beispiel Frankreich: Elektronische Frachtbriefe bei innergemeinschaftlichen Lieferungen

Um das Umsatzsteuer-Betrugspotenzial bei der Abwicklung der innergemeinschaftlichen Beförderungen von Sendungen zu reduzieren, wird beispielsweise an einem Konzept gearbeitet, nach welchem Frachtbriefe, die aktuell häufig noch als Papierdokument vorliegen, digitalisiert werden. Die Idee: Der elektronische Frachtbrief – das e-CMR – wird von allen beteiligten Parteien digital signiert und das Dokument bzw. die Signaturen über Blockchain authentifiziert. Durch die Technologie könnte unveränderbar nachgewiesen werden, dass dieser Frachtbrief zu einem bestimmten Zeitpunkt von allen Parteien unterschrieben wurde. Bisher kamen die Belege in der Praxis oft nicht am Ziel an bzw. besteht Diskussionspotential mit den Finanzbehörden, wer wann unterzeichnet hat. Dank der Blockchain-Technologie wäre eine eindeutige und unter normalen Umständen nicht veränderliche Dokumentation über die Signaturen jedoch direkt und jederzeit abrufbar.

Betrugsfälle schneller erkennen

Die Übermittlung der Daten in Echtzeit – oder zumindest noch am selben Tag – wäre ein Vorteil bei elektronischen Rechnungen. Verifiziert werden könnte: Wer hat wann welche Rechnung geschrieben, muss wie viel Umsatzsteuer abführen oder ist steuerbefreit? Bisher findet die Überprüfung von Rechnungsstellungen und Zahlungsflüssen teilweise erst Monate oder gar Jahre später statt. So kann es passieren, dass Beteiligte zwar vom zahlenden Geschäftspartner Umsatzsteuer vereinnahmt haben, anschließend aber untertauchen, ohne die Steuer je an die Finanzbehörden abgeführt zu haben. Wenn Daten direkt übermittelt werden und die Echtheit dieser Informationen gesichert wäre, könnten Behörden mithilfe einer automatisierten Risikoanalyse Unstimmigkeiten und mögliche Betrugsfälle schneller erkennen. Dabei hätte Blockchain die Aufgabe abzusichern, dass diese Daten tatsächlich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem bestimmten Wert existiert haben.

Modelle im Kampf gegen Steuerbetrug

Ein Steuersystem, in dem Betrug nur noch schwer möglich ist, könnte wie folgt aussehen: Der Unternehmer meldet jede einzelne Rechnungsstellung mit zugehörigem Steuersatz an das Finanzamt. Am Ende des Tages ergibt sich ein Saldo und er muss entweder Umsatzsteuer bezahlen oder bekommt sie erstattet. Dabei kann Blockchain mit einem echten Bankkonto verknüpft und sogenannte Smart Contracts können hinterlegt werden, so dass die Überweisung automatisiert auf Tagesbasis in Euro erfolgen. Schon jetzt ist ein solches System technisch umsetzbar.

In einem anderen Szenario, über das intensiv nachgedacht wird, soll die Verrechnung der Umsatzsteuer über eine Kryptowährung – sogenannte Token – realisiert werden. Hierbei kauft der Unternehmer vorab eine bestimmte Anzahl an Token bei den Finanzbehörden ein und begleicht seine Umsatzsteuerschuld mit eben dieser Währung. Später kann er die Token auch wieder in Euro zurücktauschen.

Größeres Vertrauen in das Steuersystem

Die effektivere Bekämpfung von Steuerbetrug ist jedoch nicht der einzige Vorteil, den die Technologie mit sich bringt. Besonders charakteristisch für Blockchain ist, dass Daten transparent und unveränderlich sind. Diese Eigenschaften hätten auch einen Einfluss auf die Vertrauenswürdigkeit des gesamten Steuersystems. Steuerausfälle können reduziert werden,  nachträgliche Prüfungen durch die Finanzbehörden fokussierter durchgeführt werden. Die Technologie hilft so, Besteuerungsgleichheit und Steuergerechtigkeit bei reduziertem Aufwand im Besteuerungssystem herzustellen, sodass – wenn die eingenommenen Steuermittel vom Staat auch sinnvoll verwendet werden – die gesellschaftliche Akzeptanz des Steuermodells gestärkt werden kann.

Fazit

Blockchain hat das Potenzial, Mehrwertsteuer-Prozesse für Unternehmen und Behörden nicht nur sicherer zu gestalten, sondern dabei auch Ressourcen zu sparen.

Über diesen Artikel

Von Peter Schilling

Partner, Indirekte Steuern, Leiter Tax Transformation, EY Tax GmbH Steuerberatungsgesellschaft | Deutschland, Schweiz, Österreich

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